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Neue Unternehmenskultur: Auf Glückssuche im Sägewerk

12.05.2020Von Stephanie Ley (Deutschlandradio)

Ein Radiobeitrag über unsere neue Unternehmenskultur


Radio-Beitrag anhören:

In einem Sägewerk in Süddeutschland ist seit Jahren die Stimmung schlecht, Angestellte kommen und gehen. Die junge Chefin will ihr Familienunternehmen retten, und versucht in einem Männerbetrieb komplett neue Wege zu gehen.

„In meinem Unternehmen kommen die Mitarbeiter aktuell nicht gerne zur Arbeit. Wir finden keine Lösungen für unsere Probleme. Die alten Methoden wie Druck ausüben, kontrollieren und Abmahnungen schreiben, funktionieren nicht“, sagt Blanca Mayer und will etwas ändern.

Mitte Oktober 2018. Fichtengeruch wabert durch die Halle. In den Stahlregalen: sauber aufgeschichtete Hölzer. Bretter, Balken, Bohlen – tonnenweise. Material für Dachstühle, Terrassenböden, den neuen Car-Port. Doch wo sonst der Gabelstapler über den Betonboden wuselt, reiht sich heute Stuhl an Stuhl. 

„So – guten Abend! Es dürfen sich jetzt alle noch ein Plätzchen suchen. Rauchen ist überall verboten, außer irgendwo da draußen auf der Straße, wo man nichts anzünden kann.“ 

Firmenchefin Blanca Mayer hat zu einem Vortrag eingeladen. In ihr Sägewerk. Das Familienunternehmen liegt im Südwesten Deutschlands, in Neckarbischofsheim: 4000 Einwohner, grüne Hügelketten. Der Handel mit Holz ist hier im Kraichgau seit vielen Generationen eine wichtige Einkommensquelle.

„Also erstmal finde ich es toll, dass so viele gekommen sind.“

Rund 80 Bürger sind ihrem Aufruf gefolgt: Handwerker, Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter samt Angehörigen. Sie alle sind neugierig. Wollen wissen, was sich hinter dem Titel auf den Flyern verbirgt, die seit Tagen im Städtchen kursieren: „Da geht noch was – Wege zu mehr Glück, Zufriedenheit und Gesundheit.“ Was nach einem Ratgeber für Lebensfragen klingt – als Themenabend in einem Sägewerk?

„Also, ich bin hier großgeworden…“, erzählt Blanca Mayer – Anfang 40, wache, braune Augen – auf einem Holzstapel im Betriebshof sitzend. 

„…und da meine Schwester acht Jahre älter ist, und es ziemlich früh feststand, dass sie das nicht machen möchte, war eigentlich von Anfang an klar, dass ich den Betrieb übernehme.“

Blanca Mayer beißt sich durch. In einer fast nur aus Männern bestehenden Berufswelt: Zimmerleute, Schreiner, Maschinenführer, LKW-Fahrer: 40 Leute arbeiten im Sägewerk. Darunter vier Frauen. Bei der Frage, wie sie sich auf ihren Chefposten vorbereitet habe, muss die Unternehmerin schmunzeln:

„Ich glaub, man weiß einfach nicht so richtig, was auf einen zukommt! Ich habe in Mosbach studiert, weil, das war einfach heimatnah. Der Studiengang hat gepasst, das war Diplom-Betriebswirt in der Fachrichtung Holzhandel. Danach war ich nochmal zwei Jahre extern und bin dann zurückgekehrt.“

Man könne sich auf den Job nicht vorbereiten, sagt Blanca Mayer.

„Grundsätzlich hatte ich immer gedacht, das ist schwierig, irgendwie sowas zu kalkulieren, die Zahlen, die Bilanz zu lesen. Das alles zu überwachen und zu steuern und letztendlich…“

...habe sich etwas völlig anderes als größte Crux erwiesen, sagt Mayer. Nämlich der Versuch, die unterschiedlichen Charaktere der Mitarbeiter irgendwie unter einen Hut zu bekommen. 

„Darauf wurde man im Studium null vorbereitet! Damit habe ich auch gar nicht gerechnet, dass man das machen muss! Was mir aufgefallen ist, ist, dass sich Menschen oft streiten, obwohl es keinen wirklichen Grund gibt! Und dass manche definitiv was anderes hören, als der andere gesagt hat. Und dann habe ich die ganze Zeit immer versucht, das irgendwie zu schlichten – der hat doch das nicht gemeint, der hat doch das nicht so gesagt – und hab´ da auch ganz viel Energie reingesteckt, weil ich eigentlich immer hier Frieden und Harmonie wollte. Und hab´ dann aber gemerkt, das funktioniert ja gar nicht, also wenn ich den Vermittler spiele. Solange die nicht miteinander reden, und auch vernünftig miteinander reden, kommen wir da nicht weiter.“

 

Miese Stimmung, miese Zahlen

 

„Es ist ein Sägewerker-Beruf hier, es ist eine raue Mentalität. Und viele zerbrechen auch an dem Ganzen, weil es eine sehr starke Belastung ist, die man sozusagen täglich abbekommt. Man muss auf jeden Fall seinen Mann stehen können!“, sagt Raphael Klimm, kaufmännischer Leiter im Sägewerk.

„Ein Liefertermin, der verpatzt wurde, das wird natürlich auf den anderen geschoben. Es ist schon so, dass viele ungern hierherkommen, und dass ist das, was natürlich den Tag an sich nicht verbessert.“

Die miese Stimmung im Sägewerk spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Im Durchschnitt fehlt jeder Beschäftigte wegen Krankheit fast zwei Wochen im Jahr. Immer wieder wirbeln Ausfälle die Dienstpläne durcheinander. Auch die Fluktuation ist extrem hoch. Vor allem im Vertrieb, wo Raphael Klimm seinen Arbeitsplatz hat:

„Also, in den letzten Jahren sind im Büro eigentlich fast alle gegangen, außer ich. Ist so! Wir müssen jedes Mal jemand Neues einlernen. Es ist einfach so, dass viel Know-How auch verloren geht. Und wenn man jetzt überlegt, dass ich derjenige im Büro mit der meisten Erfahrung bin, und ich vorher nichts anderes gemacht habe, ist das natürlich für die Zukunft gesehen, nicht das Optimalste.“

 

„Ich will ein glücklicher Arbeiter sein“

 

Beim Vortragsabend über Wege zum Glück wird Vertriebsleiter Klimm im Publikum sitzen. Ihn interessiert das Thema. Genauso wie Ralf Sauler: 40 Jahre, groß, kräftig, einer der richtig zupacken kann! Der gelernte Zimmermann rangiert auf dem Betriebshof gerade Hölzer von A nach B. Seit seit Jahren arbeitet Sauler im Sägewerk erzählt er:

„Das interessiert mich, weil ich ein glücklicher Arbeiter sein will und ein zufriedener Arbeiter.“
„Sind Sie das denn?“
„Ja, bin ich!“
„Sie kommen gerne zur Arbeit?“
„Jawoll, ja! Ich komme gerne zur Arbeit.“ 

Gerne zur Arbeit? Was der Handwerker hier nicht sagt: in Wirklichkeit hat er sich innerlich längst von seinem Job verabschiedet. Ist auf der Suche nach Alternativen. Weil er den ganzen Laden leid ist. Doch in die Karten blicken, das lässt sich Ralf Sauler erst viel später. 

„Mein Name ist Jutta Rump. Ich komme vom ´Institut für Beschäftigung und Employability` der ´Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft` in Ludwigshafen. Wir beschäftigen uns mit der Entwicklung auf den Arbeitsmärkten und in der Arbeitswelt.“

Der wissenschaftliche Rat der Professorin ist bei vielen Unternehmen und Projekten gefragt. Die Arbeitsexpertin wirkt in Fachkommissionen der Bundesregierung mit, kennt die Datenlage in ihrem Forschungsbereich genau. Sie verweist auf die „Gallup-Studie“. Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut analysiert seit fast 20 Jahren die „emotionale Bindung“ von Beschäftigten mit ihrem Arbeitgeber. Auch in Deutschland. In puncto Identifikation sehe es bei den knapp 45 Millionen Arbeitnehmern hierzulande nicht allzu rosig aus, betont Jutta Rump. Nur jeder Sechste brenne für seinen Job. Die Studie zeige außerdem: 

„Zwischen 15 und 17 Prozent sind genau das Gegenteil! Das heißt, sind diejenigen, die wirklich auch wissentlich den Arbeitgeber sabotieren oder auch torpedieren. Die sowas wie eine völlige Egal-Haltung gegenüber dem Unternehmen und der Arbeit und den Kollegen zeigen. Und nur die Mitte, die bezeichnen wir als diejenigen, die in der Tat hier und da mal eine Motivation oder eine Identifikation zeigen, wenn es gerade passt. Oder ansonsten eigentlich so in der breiten Mitte herumwabern, Dienst nach Vorschrift auch machen.“

 

Wenn das schönste Geschäftsmodell nichts nützt

 

Unternehmen, die sich in einem hart umkämpften Markt ihren Platz erobern wollten, müssten bei der Mitarbeiterzufriedenheit unbedingt aktiv werden! 

„Stellen Sie sich mal vor, Sie haben investiert in Ihre Technologie! Sie haben investiert in Ihre Produkte! Sie gehen einen sehr starken Innovationspfad! Das haben Sie auch geschafft, und jetzt denken Sie nach dem Motto, jetzt kann das eigentlich nur noch gut werden! Jetzt sind wir richtig erfolgreich und dann stellen Sie fest, das funktioniert nicht!“

Weil die Mitarbeiter nicht mitziehen oder gar das Unternehmen verlassen. Und dann nützt das schönste Geschäftsmodell nichts.

„Ich würde sagen, dass das eine der ganz zentralen Erfolgsfaktoren der Zukunft sein wird, Personal zu haben, die mit mir zusammen – in einer Welt, die sich immer schneller dreht, in der ich immer die Nase vorn haben muss – dass die mit mir zusammen jeden Tag quasi das Beste bringen. Und dazu gehört nicht nur Motivation, sondern Identifikation.“

 

Krank werden wegen schlechter Stimmung

 

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland liegt – laut Erhebung des Statistischen Bundesamtes – bei 35 Stunden. Manche arbeiten mehr, andere weniger. Manche Voll-, viele Teilzeit. Arbeit nimmt einen großen Raum in unserem Leben ein. Arbeitszeit ist Lebenszeit! Wer da schon beim Aufstehen Magengrummeln hat, wer sich mit Widerwillen ins Büro schleppt, weil die Stimmung mies ist, die Kollegen auf einem rumhacken, chronischer Stress den Tag bestimmt – der habe es schwer, sagt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther. 

„Eigentlich hat man doch, wenn man irgendwo hingeht und den ganzen Tag arbeitet, das Bedürfnis, dass man da nicht einfach nur Geld abholt, sondern dass man auch in diese Gemeinschaft ein bisschen aufgenommen wird. Und wenn Sie in so eine Firma kommen, wo so eine Gemeinschaft gar nicht existiert, und jeder sich selbst der Nächste ist, da vergeht einem natürlich die Lust, alle Freude an dem, was man tut, und man versucht dann eigentlich nur noch seine Haut zu retten. Und das Schlimme ist, dass wenn das Klima so einmal in so ein Team eingezogen ist – weil da zwei, drei damit anfangen – dann breitet sich das wie eine Seuche in dem ganzen Team aus.“ 

Stets in Habachtstellung, im Verteidigungsmodus – schräge Blicke statt freundlicher Worte! Das menschliche Hirn brauche in einem solchen Zustand extrem viel Energie, erklärt der renommierte Forscher. Es gerät aus der Balance: 

„Die richtige wissenschaftliche Bezeichnung dafür heißt „Arousal“. Die Nervenzellen feuern durcheinander. Man findet kein richtiges Handlungsmuster, wie man sich jetzt auf diese Situation einstellen soll. Mit dem Ergebnis, dass dieses Durcheinander bis in die tieferen Bereiche des Hirns reicht. Dort sind dann die Bereiche, die für die Regulation körperlicher Prozesse zuständig sind. Also für die Regulation von Immunsystem, von Herz- Kreislauf-System, von Hormonsystem und dem autonomen Nervensystem. Und dann spüren Sie das im Körper: weiche Knie, Herzrasen, Haare stehen Ihnen zu Berg. Und dann können Sie ziemlich sicher sein – wenn Sie das nicht wieder korrigieren können, wenn Sie es nicht hinbekommen, dass wieder Ruhe ins Hirn kommt, dann werden Sie daran krank!“

 

„Wir versuchen, andere Wege zu gehen“

 

„Ich fühle mich schlecht, wenn ich diese Methoden anwende“, sagt Blanca Mayer und fügt hinzu:

„Ich kann drei Nächte nicht schlafen, und danach kann ich dem Mitarbeiter nicht mehr in die Augen schauen. Und geändert hat es letztendlich auch nichts. Und deshalb haben wir versucht, andere Wege zu finden.“

Die alten, gängigen Methoden wie Druck ausüben und Abmahnungen aussprechen haben nicht nur nicht funktioniert, sondern auch die Chefin des Unternehmens unglücklich gemacht. Und so hat sie investiert – in Kopfarbeit, in Sinnsuche.

„Für mich ist das so: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Geld, wo ich in meine Mitarbeiter steck´, dass das wieder rauskommt. Wenn ich jetzt einfach in einen Unternehmensberater investiere, der nur meine Leute entlässt und umstrukturiert, dann ist Geld nicht in Gutes investiert.“

„Einen schönen, guten Abend von mir! Mein Name ist Silke Jennewein-Greulich. Ich bin 48 Jahre alt und bin im Moment – 15. Oktober, Viertel nach sechs – glücklich verheiratet. Ob es morgen noch so ist, weiß ich nicht. Das kann sich ja täglich ändern, und dann darf man wieder was dafür tun, dass es vielleicht anders wird, ja.“

Im Sägewerk soll es künftig anders werden. Mit ihr! Sie soll das Ruder rumreißen, die Mannschaft wieder auf Kurs bringen: Silke Jennewein-Greulich, gestandene Hoteldirektorin. Im Nebenberuf „Transformationscoach für die Wirtschaft“. So steht es auf ihrer Visitenkarte.

 

Ein Workshop über ein ganzes Jahr

 

Seit Jahren hat sich die 48-Jährige mit positiver Psychologie, Bewusstseinsentwicklung und der sogenannten „New Work-Bewegung“ auseinandergesetzt. Jetzt will sie ihr Wissen weitergeben. „Das Management der Zukunft stiftet Sinn“, heißt es auf der Homepage ihrer Agentur „Wertweisend“. Silke Jennewein-Greulich hat eine Workshop-Reihe entwickelt, die über ein ganzes Jahr laufen soll: Acht Treffen á zwei Tage. Das Sägewerk gehört neuerdings zu ihren Kunden. Der Themenabend dient als erstes zwangsloses Kennenlernen. Und – die Diskussion läuft: 

„Unsere Überschrift war ja hier: ´Da geht noch was, Wege zu mehr Glück, Zufriedenheit und Gesundheit!` Wie Sie eben so schön gesagt haben, uns geht ja schon gut, oder? Wir leben in einem Land, wo es keine Kriege gibt, wir haben alle genügend zu essen und was zum Anziehen. Uns geht es ja wirklich gut! Es ist auch eine Definitionssache, finde ich, ab wann man sich reich fühlt. Für manche ist eben reich sein schon, wenn man frisches Wasser hat, für andere ist reich eine Million auf dem Konto. Ich denke, das ist auch ein Unterschied.“

Das Publikum zieht mit. Hört gebannt zu als Silke Jennewein-Greulich von der Macht der Gedanken spricht. Von stereotypen Denkweisen.

„Unbewusst habe ich als junges Mädchen immer gedacht, da kommt der weiße Ritter auf einem Pferd und holt mich ab und rettet mich. Da kam aber nie jemand! Und irgendwann habe ich das begriffen, ja! Glücklichsein ist wirklich eine Entscheidung von uns selbst. Die dürfen wir sozusagen für uns selbst in die Hand nehmen! Aber ich finde, man kann mit guter Laune und Optimismus jemand anderes anstecken oder ein bissel auch mitreißen oder aufbauen oder so.“

„Und das geht wann am besten?“

„Am besten, wenn ich richtig gut gelaunt bin. Und deswegen ist das unser erster Auftrag! Dass es uns selber gut geht, damit wir dann im besten Fall noch andere mitziehen können!“

 

Ziehen die Kollegen mit?

 

„Ich habe mir am Anfang schon Gedanken darüber gemacht, ob jetzt alle denken, jetzt spinnt die Chefin total. Jetzt wird sie spirituell und esoterisch“, erklärt Blanca Mayer lachend.

Die Betriebswirtin plagen Zweifel: Wird sich der eingeschlagene Weg als richtig erweisen? Ziehen die Kollegen mit? Oder machen die Jungs zu wie Austern, weil hier Dinge zur Sprache kommen, die man sonst allenfalls seinem Lebenspartner oder dem Psychologen erzählt? Auch ihr Vater, der Seniorchef Werner Mayer, ist keineswegs überzeugt:

„Ich glaube schon, dass da mancher so gedacht hat, ne“, gibt der 75-Jährige zu.

Jahrzehntelang hat Werner Mayer das Sägewerk traditionell geführt: Als Chef gab er die Marschroute vor, seine Mitarbeiter folgten. Mit der Belegschaft auf Sinnsuche zu gehen, diese Idee wäre dem Senior wohl niemals gekommen. Aber: 

„Ich glaube, dass sich die Zeit geändert hat. Und ich glaube, dass das zu meiner Zeit nicht erforderlich war. Früher, unsere Lehrlinge, die waren nicht so oft krank. Ob das mit dem Handy, oder mit der Vielfalt, wo die Leute heute haben, dass sie halt abwesend sind, oder mit den Gedanken irgendwo anders sind, oder... Ich weiß es nicht!“

Aus dem aktiven Geschäft hat sich der Seniorchef weitgehend zurückgezogen, steht seiner Tochter aber noch beratend zur Seite. Ihrer Entscheidung, eine fünfstellige Summe in das Programm zu investieren, wollte Werner Mayer nicht im Wege stehen:

„Die Not war ja da! Sonst hätte sie das ja nicht gemacht, ne. Und ich hab´ ihr immer gesagt, wenn du meinst, dass Du in die Richtung da etwas verbessern kannst, dann mach´ das! Versuch´s!“ 

Einige Monate später – es ist Frühling geworden. Auf einem Landgut treffen sich die Workshop-Teilnehmer. Acht Beschäftigte aus dem Sägewerk machen freiwillig mit. Sämtliche Ebenen sind vertreten: Blanca Mayer, die Chefin, Vertriebsleiter Klimm, Zimmermann Sauler, Mitarbeiter aus der Produktion, ein Lehrling. Statt Holz sägen, hobeln, kappen, schneiden, steht Stuhlkreis auf dem Programm.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Ihr Lieben! Erstmal bin ich froh, dass ihr alle gekommen seid. Ich glaube, sechs Wochen liegen jetzt dazwischen, wo wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich würde ganz gerne als allererstes mit Euch in die Stille gehen. Die Füße fest mit dem Boden verwurzeln. Und konzentriert Euch mal einfach nur auf Euren Atem, aufs Ein- und aufs Ausatmen“, sagt Silke Jennewein-Greulich.

Es wird still im Raum, die Teilnehmer kommen zur Ruhe. Der übliche Start in einen Workshop-Tag. Die Gruppe hat sich bereits mehrmals getroffen. Was bei den vorangegangenen Sitzungen Thema war, berichtet Silke Jennewein-Greulich in einer Kaffee-Pause:

„Am Anfang haben wir uns damit beschäftigt, überhaupt mal mit der Idee, warum lohnt es sich überhaupt loszugehen in diesen Workshop? Also das Wozu! Im zweiten Workshop haben wir das Thema Erfolgsspielräume betrachtet. Also, was ist Erfolg überhaupt für uns? Für jeden ist Erfolg etwas anderes.



Keine Tabus bei den Gesprächen

 

Bei späteren Treffen liegt der Focus auf anderen Fragen: Welche Werte sind mir wichtig? Passen sie zu den Leitlinien der Firma? Wo liegen meine Stärken, meine Schwächen? Wie kommuniziere ich, ohne andere zu verletzen? Wie gebe ich ein konstruktives Feed-Back? Bei den Gesprächen gibt es keinerlei Tabus. Deshalb finden sie in der Regel hinter verschlossenen Türen statt. Heute aber ist die Gruppe bereit, den Vorhang ein wenig zu lüpfen! Die Teilnehmer sollen über ihre Erfahrungen mit einer Achtsamkeitsübung berichten. Eine Art Hausaufgabe, die im Betrieb über mehrere Wochen hinweg trainiert werden sollte. Dazu bekam jeder ein breites Gummiband ums Handgelenk.

„Die Übung war, sich zu beobachten, wo wir uns selbst tagsüber beschweren. Das Wort sagt ja schon: beschweren. Wir machen es uns selbst schwer! Wir tragen sozusagen die Last auf unseren Schultern. Und in dem Moment, wo uns auffällt, dass wir uns beschweren, hatten wir die Aufgabe, das Armband zu wechseln, an das andere Handgelenk. Ist das jemandem in der Gruppe gelungen?“, sagt Silke Jennewein-Greulich.   

Alle nicken zustimmend. Einige Sägewerker schildern, was genau passiert ist:  

„Das mit dem Armband. Ich hab´s nicht mehr an, weil es kaputtgegangen ist. Weil ich halt doch schon gemerkt habe, dass man sich im Alltag viel beschwert. Und durch das Armband, da merkt man, okay, da muss ich wechseln, da muss ich wieder wechseln.“

„Ich hab´s immer noch an. Und ich nutze es auch eigentlich täglich. Und es ist auch so, dass meine Azubis mich am meisten drauf hinweisen, dass ich es jetzt doch mal wechseln sollte. Dass ich da einfach jedes Mal wieder erkenne – ups, da ist ja doch noch was! Wieder dieses Beschweren, wieder dieses Beschweren.“ 



Die Sache mit dem LKW-Fahrer

 

Auch bei Ralf Sauler wandert das Gummiband anfangs hin und her. Mit dem Effekt, dass er recht schnell ins Grübeln gekommen sei, berichtet der Zimmermann. Er plötzlich nach neuen Strategien suchte, um die ständige Wechselei zu vermeiden. Da war z.B. die Sache mit dem LKW-Fahrer:  

„Der ruft dann an, wir sollen laden! Dabei hat er noch gar nicht aufgebunden, sind noch alle Paletten drauf! Da können wir nicht laden, da müssen wir erstmal abladen. Und dieses Problem, da setz´ ich mich mit auseinander. Ich versuche, das aus seinem Blickwinkel zu sehen und versuche da irgendwie eine Lösung zu finden. Dass es für uns einfacher ist, dass es für ihn einfacher ist.“

„Eher ein Verständnis füreinander?“

„Ja, genau! Und ja, das hilft mir einfach, viel entspannter an meinem Arbeitsplatz zu sein. Und auch fröhlicher. Witze verzählen, mal a bissl ´nen Jux machen. Das ist alles angenehmer!“ 

„Im Grunde genommen hat jeder Einzelne in so einer Gemeinschaft die Chance, es anders zu machen! Jeder kann sofort und ab dem nächsten Tag anfangen, etwas liebevoller mit sich selbst und mit seinen Kollegen umzugehen“, sagt Gerald Hüther, der Hirnforscher.

Doch das macht noch kein effizient arbeitendes Team aus. Seiner Erfahrung nach funktioniere das nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Nämlich dann, wenn Mitarbeiter ein Anliegen für sich entdeckten, das allen am Herzen liege. Das nur in der Gemeinschaft realisierbar sei:

„Dann hört plötzlich der ganze Zirkus auf. Dann kriegen Sie plötzlich Menschen, die nicht mehr ihre eigenen, egozentrischen Interessen höher bewerten, als das, was man gemeinsam mit anderen hinbekommt. Ich vergleiche es immer gerne mit so einer Bergtruppe. Sie haben eine Gruppe von Bergsteigern, die sind alle wunderbar ausgerüstet, jeder kann was anderes besonders gut, die haben auch ihre ganzen Klettergeräte dabei. Aber die laufen in ihrer Firma die ganze Zeit im Flachland umher. Und was die dann machen – die behindern sich gegenseitig und nölen sich an und hauen sich gegenseitig ihr Werkzeug um die Ohren. Und das wird also so nichts.

Die müssten endlich, das leuchtet ja jedem Trottel ein, die müssten endlich auf den Berg! Und wenn Sie denen jetzt eine Möglichkeit bieten, sich darüber zu einigen, auf welchen Berg sie eigentlich steigen wollen, welches gemeinsame Anliegen sie also in dieser Firma verfolgen, da fangen die plötzlich an und werden zu einer Bergsteigertruppe! Und zwar richtig gut! Jeder nimmt die Aufgabe wahr, die er am besten kann, jeder kümmert sich um den anderen, es geht nicht mehr darum, wer als erster auf dem Berg ist, sondern, dass man gemeinsam hochkommt! Und Sie bekommen dann plötzlich Leistungen, von denen Sie vorher nicht mal zu träumen gewagt hätten!“

 

Führungskräfte müssten Orientierung bieten

 

Gerade in Zeiten der Transformation, des rasanten Wandels in der Arbeitswelt, seien solche Prozesse extrem wichtig, macht auch Arbeitswissenschaftlerin Jutta Rump deutlich. Digitalisierung und Globalisierung verändern das moderne Business. Verkrustete Strukturen und Hierarchien brechen auf, Karrieren sind nicht mehr wirklich planbar. Unternehmen kommen und gehen. Experten sprechen von der sogenannten VUKA-Welt. V steht für Volatilität also Flüchtigkeit, U für Unsicherheit, K für Komplexität, A für Ambivalenz. Mit der Folge, sagt Jutta Rump, dass in den Betrieben plötzlich eine Frage zentral erscheint:

„Wenn sich alles verändert, was gilt es zu bewahren? Auf was geben Menschen in Zukunft eigentlich ein Commitment? Ich vertraue auf die Dinge, die quasi das Ganze im Gleichgewicht halten. Und das ist Werteorientierung!“  

Führungskräfte müssten deshalb Orientierung bieten. Und vor allem in Zeit investieren. Um mit ihren Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Um ihre individuellen Sorgen und Bedürfnisse kennenzulernen. Aber auch die Zwänge und Notwendigkeiten des Unternehmens deutlich zu machen. Kein Kuschelkurs, sondern professionelle Ansprache! Liegt die Sägewerks-Chefin also im Trend? Jutta Rump: 

„Ja, die liegt im Trend! Weil es ist genau diese Investition in Zeit, die wir hier haben! Wenn ich das Gefühl habe, als Mitarbeiterin z.B. dieses Sägewerkes, das ich mich einbringen kann, dass ich meine Ideen hier platzieren kann, auch wenn sie hinterher nicht umgesetzt werden, aber ich kann meinen Beitrag leisten. Dann wird plötzlich etwas, was vorher passiv war, das wird für mich aktiv! Das wird plötzlich mein Baby. Und wenn ich dann drumherum noch eine Kultur habe, die sehr werteorientiert ist, dann begreife ich irgendwann wahrscheinlich auch, dass der Betrieb so etwas wie eine Art von Heimat sein könnte oder wie eine Art von Familienersatz sein kann.“



Stimmung im Sägewerk ist heute eine völlig andere

 

Ein gutes Jahr ist vergangenen. Die Workshop-Reihe ist beendet. Alle Teilnehmer haben die Sache bis zum Ende durchgezogen. Und – das Interesse der Kollegen geweckt! Es gibt eine zweite Runde im Sägewerk! Sechs weitere Mitarbeiter begeben sich jetzt regelmäßig „in Klausur“. Wirtschaftlich sorgt die Coronakrise im Betrieb für turbulente Zeiten: Der Umsatz ist zeitweise eingebrochen, es gab Kurzarbeit. Die Chefin musste ihr Unternehmen vom Homeoffice aus leiten, der Kinder wegen. Doch trotz aller Schwierigkeiten: Die Stimmung im Sägewerk ist heute eine völlig andere. Der neue Kurs – er hat Spuren hinterlassen.

Der raue Umgangston sei passé, berichtet Zimmermann Sauler, der gerade Smalltalk mit einem Kollegen auf dem Gabelstapler hält. Es gebe jetzt viel Hilfsbereitschaft untereinander, die auch ihn angesteckt habe, sagt er im Gespräch.

„So wie heute Morgen, war der Albert, hat ein paar Sachen abstapeln müssen. Und da habe ich ihn gefragt gehabt, soll ich mit zulangen? Das hat es früher eigentlich fast nicht gegeben. Das ist einfach, das Zusammenhalten, das Kameradschaftliche, das ist wichtig, das macht die Firma auch stark. Und das versuche ich, sofern ich sehe, dass ich irgendwo helfen kann, das auch zu machen.“

„Das hört sich jetzt alles so an wie aus dem Bilderbuch oder so eine PR-Kiste, ja! Sie sagen mir das jetzt aber nicht nur, weil Sie sich wünschen, dass die Chefin das so hinterher im Radio hören möchte, oder?“

„Nö. Das ist der Stand, so wie es heute ist, ganz einfach. Im Gegensatz zu früher sind es Welten! Früher hat man einfach nur gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet. Dann ist man krank geworden, weil es einfach zu viel Belastung geworden ist. Und irgendwann war der Zeitpunkt da, wo ich nur noch gedacht habe... Da war das der Punkt, wo ich dann innerlich eigentlich schon gekündigt hab´.“

Doch Ralf Sauler bleibt. Wohl auch deshalb, weil er sich jetzt auf seine geliebte Lagerhalle konzentrieren darf. Kein Rumgehetze mehr, das war ihm wichtig. Ein Ergebnis der intensiven Gespräche. Überhaupt – im Sägewerk ist an vielen Stellschrauben nachjustiert worden: Meetings finden nun regelmäßig statt und werden genutzt, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Tür zur Chefin steht offen. Wer Dinge gut gemacht hat, kriegt ein Lob. Auch Fluktuation und Krankenstand seien, so Vertriebsleiter Raphael Klimm:

„...seither deutlich gesunken. Fluktuation gab´s bisher jetzt keine – zumindest im Büro. Und von der Arbeitssituation her ist es auch so, dass ich deutlich weniger Stunden arbeiten muss, darf, und deswegen hat es sich sehr normalisiert. Zum einen ist es so, dass ich nicht mehr zu allem Ja sage, und sozusagen nur noch hinterherrenne, hinterherrenne, sondern auch abgeben kann. Ich habe meinen Mitarbeitern wohl nicht genug vertraut. Und das kann ich jetzt ganz anders. Dementsprechend kriege ich natürlich da auch mehr Zeit für mich selber bei raus.“

„Es haben sich viele Dinge im Unternehmen geändert, es haben sich Menschen geändert, und mein Weg zu mehr Glücklichsein hat funktioniert. Wir sind glücklicher“, sagt Blanca Mayer.

Und die Zahlen? Die Corona-Pandemie wirbelt die Bilanzen gerade ordentlich durcheinander, sagt Seniorchef Werner Mayer. Dennoch rechnet er mit einem positiven Effekt: 

„Ich hoffe es. Aber ich glaube, dass das schon noch ein bisschen Zeit braucht, damit sich das auszahlt.“

 

Autorin: Stephanie Ley
Sprecher: Robert Frank
Regie: Stefanie Lazai
Technik: Jan Fraune
Redaktion: Constanze Lehmann

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